Expat-Shame

Expat-Shame

Hin und wieder überkommt mich ein gewisses Schamgefühl. Und zwar immer dann, wenn ich ganz klischeehaft Dinge tue, die mitreisenden Expat-Frauen zugeschrieben werden. Wochentags am Vormittag zum Yoga zu gehen, gehört zum Beispiel dazu. Oder über ein langes Wochenende „mal eben“ nach Myanmar oder nach Bali reise, während die Singapurer mühsam ihre wenigen Urlaubstage zusammenhalten müssen. Dass bei diesen Kurztrips auch noch die große Flugscham dazukommt, setzt dem Ganzen die Krone auf.

Natürlich zähle ich mich nicht zu den typischen Expat-Frauen. Denn die – man stelle sich vor! – leben ja ganz ausschließlich in ihrer Expat-Blase:

Sie sprechen meist die Landessprache nur gebrochen, bewegen sich ausschließlich im Kreis ihrer Landsleute, haben kein oder wenig Interesse an der Kultur, in der sie gelandet sind und geben gleichzeitig das Geld ihrer sicher sehr schwer arbeitenden Männer mit vollen Händen aus. Und zwar in schicken Boutiquen und überteuerten Feinkostgeschäften, die natürlich Lebensmittel aus ihrem jeweiligen Heimatland im Angebot haben. So weit die Theorie.

In Singapur lässt sich diese Spezies wochentags gut in der Tanglin Mall, am Dempsey Hill oder im Holland Village beobachten, typischen Wohngebieten von Langnasen und sonstigen Zugereisten. Man trifft sich bei Stadtführungen, Kochkursen und Pilatesstunden (gerne in deutscher Sprache), wo der Frauenteil jedes Mal deutlich über 90 Prozent liegt.

Aber trotz aller Frotzelei erwische ich mich hin und wieder dabei, dass ich eben auch genau solche Aktivitäten mitmache – wie vergangene Woche:

Beim Afternoon Tea im Fullerton Bay Hotel ließ ich mir Törtchen und Tee in rauen Mengen schmecken, natürlich in angenehm klimatisierten und wunderschön eingerichteten Räumlichkeiten des Landing Points. Immerhin war es ein „Arbeitstreffen“ und so verzichteten wir tatsächlich auf das angebotene Gläschen Champagner dazu.

Drei Tage marschierte ich schon wieder über den dicken, roten Teppich ins altehrwürdige Fullerton Hotel hinein. Auf dem Dach der noblen Fünf-Sterne-Unterkunft befindet sich nämlich eine Rooftop Bar, das Lighthouse.

Bei einem sehr angenehmen, lauen Lüftchen saß die illustre Damenrunde (mit einem männlichen Geburtstagskind) bis spät in die Nacht zusammen und genoss den Blick über die Marina und die Lichtershow des Marina Bay Sands Hotels.

Und am darauffolgenden Tag war ich zu einem Olivenöl-Kurs geladen, der natürlich in einem noblem griechischen Lokal stattfand. Unter den knapp 100 Teilnehmern waren kaum asiatische Gesichter, und bei der dazugehörigen Verkostung zuckte außer mir kaum jemand zusammen, als es um den Preis für gutes Olivenöl ging – das hier in Singapur wegen der hohen Einfuhrkosten praktisch mit Gold aufgewogen wird.

Nun reicht es erst einmal mit typischen Expat-Unternehmungen – ich schultere jetzt schnell meine Yogatasche und und freue mich schon auf die reine Damenveranstaltung heute Abend im Singapurer Paulaner-Brauhaus! Oh, Moment mal: schon wieder Expat-Shame!

2 Replies to “Expat-Shame”

  1. Liebe Nadine. mit dem Schämen ist das so eine Sache ! In deinem Alter habe ich mir auch nicht vorstellen ( vorstellen schon aber nicht realisieren können, auf das Neunerköpfle mit der Bergbahn zu fahren anstatt zu Fuß hinaufzusteigen, ebenso konnte ich einer Kreuzfahrt absolut nichts abgewinnen. Heute ist das freilich anders, aus vielerlei nachvollziehbaren Gründen, und da schäme ich mich gar nicht. Also lasse derweil Gefühle nicht zu sehr aufkommen,
    Übrigens, ich schmunzle manchmal über deinen plakativen Schreibstil ( z. Bsp. …der Göttergatte nicht zu Tode stürzt.. ), der an den meinen erinnert oder umgekehrt ?
    Also erlebe und schreibe mal schön weiter, nehme an, dass du über unseren bevorstehenden Scala Besuch informiert bist und das in aufgezahlter Sitzplatz Kategorie ! Müssen wir Alte uns da schämen ?
    Tschüss Peter

    1. Lieber Peter, vielen Dank für den so treffenden Kommentar. Meine „Scham“ ist ja auch ein wenig selbstironisch – weil ich mir bewusst bin, was für ein privilegiertes Leben ich führen darf. Niemand erfüllt gerne Klischees, oder?
      Viel Freude in Mailand und Ihr macht es ganz richtig: genießt es!

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