Singapur hat einen Hygienefimmel

Singapur hat einen Hygienefimmel

Jeden Morgen spielt sich im Kindergarten das gleiche Procedere ab: Jedes ankommende Kind wird herzlich begrüßt, anschließend werden mit Hilfe einer Taschenlampe Handflächen und Mundhöhlen ausgeleuchtet und inspiziert, die Temperatur an der Stirn gemessen und großzügig Desinfektionsmittel auf Kinderhänden verteilt. Erst, wenn diese Morgenvisite zur allgemeinen Zufriedenheit verlaufen ist, darf das Kind fröhlich in den Gruppenraum spazieren. Die Temperaturkontrolle wird mittags und nachmittags natürlich wiederholt.

Bricht dann doch einmal eine der in deutschen Kindergärten oft wütenden Seuchen aus, herrscht Ausnahmezustand. Täglich berichten Rundmails über die aktuellen Krankmeldungen, inklusive Anweisungen zu Gesundheitsvorsorge und dringender Empfehlungen, bei jedem noch so kleinen Husten stets sofort einen Arzt aufzusuchen, eine Krankmeldung zu erbitten und dem Kindergarten fernzubleiben. Und zwar so lange, bis vom selben Arzt eine explizite, schriftliche Gesundmeldung eingereicht wird.

Singapurer haben panische Angst vor Infektionskrankheiten. Natürlich sorgt das tropische Klima für eine blitzschnelle Vermehrung von Bakterien. Selbst harmlose, kleine Kratzer an Extremitäten weisen über Nacht tennisballgroße, eiternde Entzündungsherde auf, die sofort mit großzügiger Gabe von Antibiotika bekämpft werden müssen. Norman durfte damit bereits Bekanntschaft machen: ein kleiner Mückenstich entzündete sich innerhalb von 24 Stunden dermaßen, dass der Hausarzt schwere Geschütze auffahren musste.

Der Stadtstaat wendet viel Zeit, Geld und Kräfte auf, um die mühsam eingedämmten, aber im restlichen Asien immer noch verbreiteten Seuchen gar nicht erst wieder ausbrechen zu lassen. Zu langwierig war der Kampf gegen Tuberkulose, Malaria und Polio. Im Stadtstaat wohnen Millionen Menschen auf relativ engem Raum, die Ansteckungsgefahr ist also tatsächlich groß, und nach diversen Pestausbrüchen, die ganze Siedlungen ausgerottet haben, weiß man um die Gefahren von mangelnder Hygiene.
Um es erst gar nicht so weit kommen zu lassen, gibt es an jeder öffentlichen Einrichtung, in U-Bahn-Toiletten, Kaufhäusern und Restaurants Handdesinfektionsstationen wie in deutschen Krankenhäusern, ebenso wie Hinweisschilder, die das korrekte Händewaschen erklären.

Die Singapurer sind Hygiene-Fanatiker. An Bushaltestellen und Plakatwänden tauchen in regelmäßigen Abständen die Druckwerke großangelegter Medienkampagnen auf, die auf vermeintlich „coole“ Art darauf aufmerksam machen sollen, die Übertragung von Krankheitserregern zu vermeiden. Passend dazu gibt es Kinderbücher, Infomaterial, YouTube-Videos und Handy-Apps. Die Erziehung zur Gesundheitsvorsorge beginnt schon früh.

New photo by Nadine Dietl / Google Photos

Das Stadtbild ist im öffentlichen Miteinander geprägt von Mundschutz tragenden Pendlern – sowohl zum Selbstschutz als auch im Interesse der Nebenstehenden in der U-Bahn. Wer selbst mit kratzendem Hals oder leichten Erkältungsbeschwerden unterwegs ist, möchte niemanden damit anstecken.

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Überhaupt ist es äußerst verpönt, krank ins Büro zu gehen. Die falsch verstandene deutsche Neigung, sich noch mit Fieber an den Schreibtisch zu schleppen und seinen Arbeitswillen zu demonstrieren, würde hier nur Kopfschütteln auslösen. Zu groß ist doch die Gefahr, dass am Ende die gesamte Abteilung flachliegt und sich auskurieren muss! Also bleibt man lieber schon beim kleinsten Anzeichen eines sich anbahnenden Schnupfens daheim, natürlich nicht ohne vorherigen Arztbesuch und Einreichung eines Attests.

Und was soll ich sagen: Es funktioniert! Noch nie hat unser Kind einen Magen-Darm-Virus von der Vorschule nach Hause mitgebracht, noch nie waren wir von etwas anderem als von einem Schnupfen gebeutelt (von kleineren bis größeren Totalausfällen auf Reisen einmal abgesehen). Singapurer Arztpraxen kennen wir nur von Impfterminen – im Gegensatz dazu werden wir jedes Mal beim Heimatbesuch von Bronchitis, Mandelentzündung und Grippe heimgesucht. Wir sind offenbar an deutsche Viren und Bakterien nicht mehr gewöhnt.

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