Baba House: Ein Zeitreise zu den Peranakan
Vieles, das als typisch für Singapur gilt, geht auf die Kultur der Volksgruppe der Peranakan zurück – von denen ich bis zu unserem Umzug hierher zugegebenermaßen noch nie etwas gehört habe. Da mir der Begriff ständig über den Weg läuft, habe ich es mir für unsere verbleibende Zeit hier u.a. zur Aufgabe gemacht, mehr über diese Bevölkerungsgruppe und ihr kulturelles Erbe herauszufinden.
Zuerst also Hintergrundrecherche: Wer oder was sind eigentlich Peranakan?
Die Peranakan sind Nachfahren der Chinesen, die ab dem 16. Jahrhundert in die Gegend des heutigen Singapurs kamen – zum Geldverdienen, denn in China herrschte Armut, und die Männer zogen in die Welt hinaus und ließen sich als Arbeiter, Händler und Zinn-Minen- und Plantagenbesitzer entlang der Küste von Melakka, im heutigen Singapur, Malaysia und Indonesien, nieder. Dort heirateten sie in einheimische Familien ein.
Aus der Mischung aus muslimischen Malaiinnen/Indonesierinnen und buddhistisch-taoistischen Chinesen entstand bald eine einzigartige Kultur mit eigener Sprache, eigenem Kleidungs- und Baustil, Bräuchen und einer eigenen Küche.
Die Nachkommen dieser Mischehen nennen sich entweder als Peranakan (akan bedeutet Abkömmling, Nachfahre), als Baba-Nonya (Baba steht dabei für die männlichen und Nyonya für die weiblichen Angehörigen der Gruppe) oder als Straits Chinesen (nach der Straße von Melakka). Mit diesen Bezeichnungen grenzten sie sich von der zweiten großen chinesischen Einwanderungswelle im 19. Jahrhundert ab.
Die oft extrem geschäftstüchtigen Familien formten in vielen Generationen eine Elite innerhalb der prosperierenden Stadt, identifizierten sich deutlich mehr mit dem Britischen Königreich als mit dem chinesischen Herkunftsland und finanzierten nicht unerheblich den Ausbau Singapurs mit. Mitunter wurden sie sogar als „King’s Chinese“ bezeichnet, so königstreu waren sie. Demzufolge nahmen sie oftmals wichtige Verwaltungsposten in der Stadt ein.
Ihre Anpassungsfähigkeit ist legendär, schließlich vereinen sich in ihren Familien die verschiedensten Traditionen und Glaubensrichtungen: oft wird deshalb eine Mischung aus buddhistisch-taostisch, christlich (nach britischem Vorbild, Konvertierungen waren üblich) und muslimisch gelebt. In der Kampong Kapor Methodist Church in Singapur wird nach wie vor jeden Sonntag der Gottesdienst auf Baba Malay gehalten.
Erfolgreich waren sie vor allem als Händler und fungierten als Mittelmänner zwischen England und China, da sie – meist nach englischem Vorbild erzogen – dazu noch mindestens zwei oder gar mehr Sprachen beherrschten: Englisch, Malay, eine oder mehrere chinesische Sprache und Baba Malay, die Sprache der Peranakan. Baba Malay ist angelehnt an Bahasa Malaysia, durchsetzt von Wörtern in Hokkien. Heute sprechen nur noch etwa 1.000 Bewohner Singapurs diese Sprache. Ich durfte letztes Jahr im Chor Bekanntschaft damit machen…
Die Abkömmlinge indischer Auswanderer, die in malayische Familien eingeheiratet haben, formen eine etwas kleinere Bevölkerungsgruppe innerhalb Singapurs und Malaysias und werden als Chitty bezeichnet (mehr dazu auch hier), die Nachfahren von portugiesischen/chinesischen Mischehen als Kristang. Portugal beherrschte im 15./16. Jahrhundert das Gebiet des heutigen Melakka als Kolonialmacht.
Die Geschichte der Peranakan wurde erst spät beachtet und aufbereitet. Nach Singapurs Unabhängigkeit von England bekannte man sich vor allem zu China, schließlich stammen 80% der Bevölkerung von dort.
Mit Kinder- und Kochbüchern, Fernsehserien, Filmen, Zeitschriften und Führungen wollen verschiedene Gesellschaften (z.B. The Peranakan Association Singapore) das Interesse an der Kultur und Sprache der Peranakan wieder erneuern (siehe Artikel in The Straits Times: „Keeping the Peranakan language alive„, 9.3.2017).
Um mir den Alltag einer solchen Familie näher anzuschauen und ein bisschen in die Geschichte einzutauchen, besuche ich das Baba House. Erbaut in den 1890er Jahren, lebte in diesem Haus in der Neil Road 57 lebte über sechs Generationen die Familie Wee, bevor die letzte Verbleibende (Ms Agnes Tan) es 2006 der National University of Singapore als Schenkung überließ.
Besichtigt werden kann das original erhaltene Wohnhaus nur mittels einer Führung.
Bereits von außen fällt das schmale Haus auf: die strahlend blaue Fassade leuchtet in der Sonne, die Keramik-Kacheln mit den Glücksymbolen Phoenix, Reh, Kranich und Pfingstrosen sind gut erhalten.
Auch in anderen Stadtteilen sieht man solche Fassaden, leider sind heute nicht mehr allzu viele erhalten: hier Beispiel für Shophouse-Fassaden in Little India und am Emerald Hill.
Schmal sehen sie alle von außen aus, schließlich ist für den Passanten nicht zu erkennen, das es einen ganzen Häuserblock entlang nach hinten weitergeht.
Innen ist die Ausstattung so aufwändig wie außen:
Holzgeschnitzte Türstöcke, hohe Teakholzdecken, Stühle und Tische mit Marmorsitzflächen (die in Singapurs Hitze schön kühl bleiben) und feinsten Perlmutt-Einlegearbeiten.
Typisch für Peranakan-Häuser ist die Raumaufteilung: jeder Besucher betritt zunächst den Empfangsraum. Hier werden Geschäfte gemacht und gearbeitet.
Dahinter schließt sich der Aufenthaltsraum der Familie an, mit Esstisch, Familienporträts an den Wänden und dem obligatorischen Lichtschacht nach oben, der für Luftzirkulation sorgt und bei Regen das darunter liegende Becken auffüllt. In den Schränken steht feinstes chinesisches Porzellan, natürlich gibt es einen großen Hausaltar und überall finden sich in den Einlegearbeiten, Schnitzereien und Wandbehängen chinesische Glückssymbole (z.B. Fledermäuse – das chinesische Wort „fook“ kann auch Reichtum bedeuten), unterbrochen von typisch europäischen Kacheln.
Die Küche im Anschluss besteht aus einem großen Herd, der mit Feuerholz angeheizt wurde. In der Sprache der Peranakan ist das Wort für „Küche“ gleichbedeutend mit „Magen (bzw. Seele) des Hauses“.
Dementsprechend zeitaufwändig sind die typischen Gerichte, die heute als „Fusion-Küche“ bezeichnet werden dürfte, ist sie doch eine Kombination aus chinesischer, malaysischer und indonesischer Landesküche.
Typische Nyonya-Gerichte (nach den Frauen, die für die Zubereitung der Speisen zuständig sind), sind z.B. die in Singapur allgegenwärte Laksa (Nudelsuppe mit Kokosmilch), Nyonya Kuehs, Mee Siam, Ayam Buah Keluak, Chendol und Kueh Pie Tee.
Die Weitergabe erfolgte über Generationen ausschließlich mündlich, mangels überlieferter Rezepte und wegen der aufwändigen Zubereitungsart gibt es nicht viele Restaurants, die sich die Mühe machen, diese Gerichte zu servieren. Bei einer kulinarischen Stadtführung durch Joo Chiat, einem Stadtviertel, in dem sich viele Peranakan-Familien niedergelassen hatten, durfte ich bereits Erfahrung mit diesen speziellen Speisen machen.
Im ersten Stock des Baba House besichtigen wir das mit exquisiten Möbeln ausgestattete Schlafzimmer, das gleichzeitig auch als Aufenthaltsraum für die Damen des Hauses genutzt wurde. Diese durften nicht mit Besuchern in Kontakt treten, deshalb finden sich im Fußboden Gucklöcher – so konnten die Frauen wenigstens spicken und lauschen, was unten gesprochen wurde.
Webrahmen zeugen von den Handarbeitskünsten, die traditionelle Kleidung war stets aufwändig gearbeitet und aus feinsten Stoffen. Die berühmte Uniform der Singapore Airlines-Flugbegleiterinnen, enworfen von Pierre Balmain 1972, erinnert an diese Sarong Kebaya.
Das Hochzeitsbett zeugt von den aufwändigen Eheschließungen; eine Peranakan-Hochzeitsfeier dauert zwölf Tage und folgt genau festgelegten Riten. Bis heute ist es in Peranakan-Familien üblich, in China auf Braut- bzw. Bräutigamschau zu gehen und so die chinesische Linie innerhalb der Familie nicht abreißen zu lassen.
Während der Führung versuche ich mir vorzustellen, wie die Familie mit ihren zahlreichen Kindern und Hausangestellten, von denen die Fotos an den Wänden zeugen, hier gelebt hat. Auch wenn das Haus groß ist, ist es kein Palast, und in diesem Mehrgenerationenhaus gab es nicht für jeden Bewohner Raum für Privatsphäre. In der Küche war es sicherlich wegen des Herdes immer drückend heiß, auch wenn durch die geschnitzten und damit gleichzeitig abgedunkelten Fenster und Türen sowie durch das offene Dach stets ein wenig Zugluft ins Innere kam. Bei Singapurs tropischen Temperaturen ein Muss! Die tönernen Fliesen auf dem Fußboden sorgten zusätzlich für ein kühleres Raumklima.
Fotografieren ist im Inneren des Hauses leider nicht erlaubt, deshalb bleibt nur der Bildbeweis auf der Homepage des Museums: https://babahouse.nus.edu.sg/
Weitere Museen, in denen die Peranakan-Geschichte aufbereitet wird, sind das Peranakan-Museum und das Intan-Museum.
5 Replies to “Baba House: Ein Zeitreise zu den Peranakan”
Ich finde diesen geschmackvollen Farbenfrohsinn bestechend. Und auch gut, das ein gewisser Schutzraum eingehalten wird (Photographieverbot), auch wenn es manchmal sicherlich schade ist.
Liebe Grüße
Franziska
Du hast recht, ich finde das Fotografie-Verbot auch sinnvoll. Es handelt sich schließlich um ein privates Wohnhaus und kein „Museum“.
Viele Grüße,
Nadine
Hmmm, auch generell. Es gab bis vor 2 Jahren bei mir eine Phase, da hatte ich für ein Jahr, anderthalb Jahre das dumme Gefühl, einfach alles Blumige und Tierische knippsen zu müssen. Den Botanischen Garten hier. Die Quintessenz war, das ich gar nicht mehr zur Ruhe kam. Einfach mal das genießen, was man sieht, ohne es abzulichten.
Die technischen Neuerungen sind teils gut, und teils schlecht.
Im konkreten Fall, wurden von mir Wiki, die Bildergalerie von Google und Encyclopedia Britannica aufgesucht. Das war nach deinem Kick schon ein WOW!-Gefühl!
Du kannst bald auch als Geschichtsschreiberin agieren
gratulation, Peter
Danke! Das Buch muss ja gefüllt werden!