Tempel über Tempel: Angkor und Siem Reap

Tempel über Tempel: Angkor und Siem Reap

Beim Landeanflug auf Siem Reap im Norden Kambodschas, nur gut zwei Flugstunden von Singapur entfernt, wird Titus beim Blick aus dem Fenster plötzlich unruhig: das draußen sei ja nur Wasser, wo wolle der Pilot denn bloß landen? Richtig, wohin das Auge reicht, sehen wir nur überschwemmte Landschaft. Es ist Regenzeit!

New photo by Nadine Dietl / Google Photos

Zum Glück steht die Landebahn nicht unter Wasser, und wir kommen wohlbehalten an. Das hauseigene Reisebüro hat beste Arbeit geleistet, dank der bereits vorab online beantragten Visa sind wir in Minuten durch die Passkontrolle durch und werden draußen vom Fahrer des Hotels in Empfang genommen. Zur sehr großen Freude des Sohnemanns dürfen wir ein typisch kambodschanisches Tuk-Tuk besteigen. Dieses besteht aus einer Art Kutsche, die mangels Pferden kurzerhand hinter einen handelsüblichen Motorroller gespannt wird. Damit heizen wir höchst bequem und selig in die 20 Kilometer entfernte Ortschaft.

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Während der Fahrt zählen wir die verschiedenen Tuk-Tuk-Varianten auf, denen wir in Asien bereits begegnet sind, und genießen die ersten Eindrücke von Kambodscha. Die Umgebung von Siem Reap ist sehr ländlich, auf den vielen Reisfeldern steht zentimeterhoch das Wasser, Kühe grasen am Straßenrand, Hühner scharren daneben, und wir haben dank fensterlosem Gefährt einen wunderbaren Blick auf alles.

Mitten in den engen Gässchen von Siem Reap betreten wir nach kurzer Fahrt unser bildhübsches kleines Hotel. Das „Rambutan“ besteht aus typischen Khmer-Gebäuden, die um einen kleinen Innenhof mit Pool angeordnet sind. Unser Zimmer im ersten Stock hat eine Terrasse, ein Wohnzimmerchen und darüber noch Schlaf- und Badezimmer. Sämtliche Räume sind durch enge und äußerst steile Treppen ohne Geländer zu erreichen, was uns einen Vorgeschmack auf unsere Tempelbesichtigungen geben wird.

Wir fühlen uns jedenfalls sofort wohl und machen uns sogleich auf zur ersten Stadtbesichtigung aka „Wir brauchen Abendessen“. Auf den Straßen wuselt es von Tuk-Tuks und Motorrollern, auf denen ganze Großfamilien unterwegs sind. Nach einem Spaziergang über den Markt landen wir in der sogenannten „Pub Street“, in der sich Bars, Restaurants und Unterhaltungsbetriebe aneinanderreihen. Die Touristen schieben sich in Massen durch die verkehrsberuhigte Straße, und die einzigen Einheimischen machen wir unter den Bedienungen, Postkartenverkäufern und Musikern aus. Nach einer Stärkung in fester und flüssiger Form raffen wir dann auch endlich, dass die Speisekarte nicht besonders Amerikaner-freundlich gehalten ist, sondern dass hier tatsächlich in US-Dollar bezahlt wird. Das erklärt auch, warum der Geldautomat am Flughafen nur grüne Scheine ausgespuckt hat. Die einheimische Währung ist so wenig wert, dass der Einfachheit halber alles in Dollars berechnet wird. Nach einigen mathematischen Gleichungen haben wir dan auch herausgefunden, wie dieser im Vergleich zum Singapur-Dollar steht und bestellen daraufhin gleich noch ein Bier: das kostet hier nämlich nur etwa 10% von dem, was wir sonst gewöhnt sind!

Dank Titus artet der abendliche Umtrunk dann zum Glück nicht aus, das Kind ist nach den Aufregungen des Tages nämlich müde und möchte ins Bett. Vorbei an zahlreichen Massagesalons finden wir den Weg zurück zur Unterkunft, und genießen den Rest des Abends bei Froschgequake und einem ansprechenden, günstigen Kaltgetränk auf dem Balkon.

Doch am Donnerstag heißt es früh aufzustehen, woran uns das Kind in aller Herrgottsfrüh erinnert: „Los, unser Fahrer kommt gleich!“ Tatsächlich steht pünktlich um 8:30 Uhr Sochet vor der Hoteltür; er ist für die nächsten drei Tage unser Fahrer und wird uns die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Umgebung zeigen.

Wir nehme im schicken Jeep Platz; unser Urlaubsreglement besagt, dass Titus dann immer vorne sitzen darf, und das fordert er auch vehement ein. Zuerst einmal geht es einmal quer durch die Stadt zum Kartenschalter für die Angkor-Tempel. Wir staunen nicht schlecht: mehr als sechzig (!) Schalter warten hier im nagelneu aussehenden Gebäude auf die Massen an Touristen, die sich täglich hier einfinden. Vor allem bei den En-Tages-Tickets sind die Warteschlangen lang, wir erstehen aber ehe eine Karte, die uns drei Tage lang den Besuch der historischen Stätten ermöglicht. Der Kauf geht zum Glück schnell, per Mausclick wird ein Foto von uns erstellt, aufs Ticket gedruckt, wir bezahlen pro Person 62$ (Kinder unter 12 Jahren dürfen kostenlos rein) und kurz darauf fahren wir schon weiter aus der Stadt heraus.

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Unser erster Halt ist die Tempelanlage Angkor Thom. Während Sochet uns Wissenswertes über die Errichtungszeit rund um das 12. Jahrhundert erzählt, traue ich meinen Augen kaum: so weit das Auge reicht, parken Busse, Autos und Tuk-Tuks vor uns, Massen an Touristen kraxeln über die alten Steine des bis heute als Tempel dienenden Komplexes mit dem Namen „Bayon„. Per Elefant kann die Anlage für einen beträchtlichen Betrag umrundet werden, doch wir verzichten dankend und machen uns nach einer kleinen Stärkung auf eigene Faust an die Besichtigung. Dieser Teil Angkors ist für seine Türme bekannt, deren vier Seiten mit großen Frauengesichtern behauen sind.

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Diese sind tatsächlich beeindruckend, überhaupt erschließt sich uns die Größe dieses kleinen Teils der ehemaligen Mega-City Angkor erst beim Hindurchwandern durch die schier unübersichtliche Anlage, die sich über mehrere Stockwerke erstreckt. Es geht durch mal mehr, mal weniger intakte Gänge, treppauf und treppab, mal hüpfen wir über Löcher im Boden, mal balancieren wir auf Balustraden. Es ist voll, überall wird fotografiert und gefilmt, Selfie-Stangen versperren uns den Weg, und es ist stickig heiß im feuchtwarmen Klima Kambodschas. Wie aus dem Bilderbuch erscheint kurz darauf eine Affenfamilie, die sich fauchend ihren Weg durch die knipsenden Touristenmassen bahnt.

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Beim Fußmarsch zum ein Stückchen entfernt liegenden Baphuon-Tempel nimmt die Besucherdichte bereits deutlich ab. Da in diesem Tempel Kinder nicht zugelassen sind, besichtige ich ihn alleine, während Norman und Titus am Seerosenteich draußen Frösche suchen und Ameisen beobachten. Das Kinderverbot erschließt sich mir innerhalb kürzester Zeit, denn die verschiedenen Ebenen der Gebetsstätte sind ausschließlich über steilste, kaum gesicherte Holztreppen zu erreichen, vor denen sich sowohl beim Auf- als auch beim Abstieg lange Warteschlangen bilden. Warum dieser Tempel so besonders ist, erschließt sich mir allerdings nicht beim Blick von oben, sondern erst, als ich wieder festen Boden unter den Füßen stehe und entlang der Außenmauer zurückgehen will: auf der Westseite des Tempels ist in die Mauer mit Steinen das Relief eines schlafenden Buddhas eingemauert!

Wir spazieren zusammen weiter durch den Wald, in dem Angkor Thom errichtet ist. Titus hat wenig Augen für die Ruinen, stattdessen tobt er sich zwischen den Urwaldbäumen aus. Die kunstvollen Elefantenreliefs interessieren ihn eher mäßig. Da einige Teile von Angkor bis heute als Gebetsstätten fungieren, wird peinlich genau auf die adäquate Kleiderordnung geachtet: lange Hosen und bedeckte Schultern bei Männern und Frauen sind ein Muss! Deshalb sind wir um die Mittagszeit dann auch allesamt schweißgebadet und ziemlich erledigt, als wir wieder im Auto sitzen und Sochet verkündet, dass wir nun zum nächsten Tempelkomplex aufbrächen. Titus möchte am liebsten die Weiterfahrt verweigern („Ih glaube, wir haben jetzt genug Tempel angeschaut. Enough looking!“). Wir können das Kind aber mit der Aussicht auf weitere Kletterpartien und Beiträge zur Stock- und Steinchensammlung überreden, sich uns anzuschließen. Vorher müssen wir uns allerdings stärken, und deshalb bringt uns Sochet zu einem kleinen Lokal, wo wir hervorragendes Khmer-Essen serviert bekommen.

Kurz darauf steigen wir am Eingangstor von Ta Prohm aus dem Auto. Film- und Game-Fans ist diese hinduistische Gebetsstätte aus dem frühen 13. Jahrhundert möglicherweise aus „Lara Croft“ bekannt, ich kann dagegen nicht auf Vorwissen zurückgreifen und bin umso begeisterter: mitten im Wald türmt sich vor unseren Augen eine gigantische Klosteranlage auf. Große Teile davon sind zerfallen, Titus vergleicht die herumliegenden und mit Moos bewachsenen Steinquader mit seiner Lego-Kiste zuhause. Ganze Areale sind mit gigantischen Bäumen überwachsen, deren Wurzeln sich über Jahrhunderte zwischen die Steinfugen gezwängt haben. Beim Rundgang ergeben sich immer neue Perspektiven auf diese Vermischung von Architektur und Natur. Zwar hören wir das Hämmern der Steinmetze, die Nötigstes ausbessern und alles einsturzsicher halten, doch wurde bewusst beschlossen, die Stätte großteils so zu belassen, wie sie sich in tausend Jahren entwickelt hat. Ein tolles Konzept, denn die Atmosphäre zwischen den Ruinen verursacht Gänsehaut!

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Gut, die chinesischen Reisegruppen, die alle Wege verstopfen, da sie an bestimmten Stellen alle nacheinander ein Selfie machen wollen, nerven ein wenig, aber wir finden trotzdem Ecken, in denen wir ungestört sind und wo Titus nach Herzenslust klettern, hüpfen und mit einem Stock in Löchern herumstochern kann. Und für mich geht eh ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung: Seit ich zum ersten Mal als Teenager Fotos von einem Angkor-Tempel gesehen habe, wollte ich hier hin.

Am frühen Nachmittag beenden wir die Besichtigungstour, da sich Regen ankündigt, und kehren ins Hotel zurück. Während Titus im Pool badet, belästigen Norman und ich sämtliche Familienmitglieder und Freunde mit Nachrichten à la „Alles Roger in Kambodscha“, die inhaltlich fragwürdig sind, aber unsere Begeisterung für dieses Reiseziel ausdrücken sollen. Sehr dankbar nehmen wir die Gratis-Fußmassage, ein kleines Geschenk des Hotels, entgegen – genau das richtige nach einem Tag voller Besichtigungen.

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Titus ist völlig erledigt; in der einen Minute verputzt er noch einen ganzen Teller Nudeln im vegetarischen Lokal „Vitking“, im nächsten Moment krabbelt er auf meinen Schoß und ist eingeschlafen. Mit Hilfe eines Tuk-Tuk-Fahrers bugsieren wir ihn zurück ins Hotel und ins Bett, er lässt sich anstandslos die steilen Treppen hinauftragen, lässt sich die Zähne im Halbschlaf in liegender Position putzen und verlangt dann aber noch vehement eine Gute-Nacht-Geschichte. Was für ein Leben!

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