Für Leib und Seele – Essen und Musik!
Neben den ständigen Proben für das große Bernstein-Projekt steht am Freitag wieder einmal ein Treffen des Kochclubs an.
Um 10 Uhr finden wir uns bei Tejashree ein, sie wohnt ganz zentral im Four Seasons Park. Auffällig an den vielen Wohnungen, in denen ich in den letzten Wochen zu Gast war, ist, dass tatsächlich die eher „älteren“ Condominiums (also alle, die 10 Jahre und älter sind) viel großzügiger geschnitten sind als die Neubauten.
So auch bei Teju, allein in ihrer Küche haben wir problemlos zu siebt Platz. Die Gastgeberin ist bestens vorbereitet, die Rezepte liegen ausgedruckt bereit, und zuerst einmal gibt sie uns eine Einführung in ihre Heimatküche, denn sie stammt aus Mumbai/Maharashtra. Und passend dazu soll es heute sogenanntet „Chat„, also Mumbaier „Street Food“ geben.
Seit meiner Foodie Tour durch Little India bin ich bekennender Fan von diesen köstlichen kleinen Snacks, und begeistert stürzen wir uns in die Vorbereitungen.
Wir bereiten zusammen drei verschiedene Chutneys zu und staunen über die Selbstverständlichkeit, mit der Tejashree Unmengen scharfer Chilis und mehrere Hände voll frischer Knoblauchzehen verarbeitet, ohne mit der Wimper zu zucken.
Dann steht das Dessert an, welches frische Alphonso-Mangos enthält – klar, die kommen ja auch aus Maharashtra, und Teju versichert uns, dass es die einzig wahre Mangosorte sei. Stolz zeigt sie uns ihre brandneu erworbenen Vorräte, zwei Kartons stapeln sich im Vorratsschrank, denn für knapp zwei Wochen lang ist nun Saison dafür.
Es folgt ein Geruchstest, wir schnuppern an thailändischen, pakistanischen und eben Alphonso-Mangos, ähnlich wie bei einer Weinverkostung riecht jede von uns andere Nuancen, und es wird natürlich viel gelacht dabei.
Zum Schluss kochen wir noch Pav Bhaji, eine Art Gemüsecurry, das Unmengen Butter enthält und offenbar zu den bekanntesten Gerichten Indiens zählt. Ich finde es unheimlich spannend, eine Inderin beim Kochen zu beobachten. Die Damen verwenden stets Dampfkochtöpfe, welche in jedem indischen Haushalt in jeder erdenklichen Größe vorhanden sind. Dazu hat jede Inderin eine eigens zusammengestellte Gewürz-Sammlung in einer hübschen Dose, Gewürzmischungen (Masalas) werden selbstverständlich selbst und nach Familienrezept zusammengemischt.
Jedes Mal entbrennt zwischen den indischen Ladies, die alle aus unterschiedlichen indischen Bundesstaaten stammen, eine leidenschaftliche Diskussion darüber, welches Landesküche denn nun „besser“ sei bzw. wie die einzig korrekte Zubereitungsart für dieses oder jenes Gericht sei. Ich habe jedenfalls in den letzten 10 Monaten soviel über indische Küche gelernt, wie noch nie zuvor!
Das Essen schmeckt natürlich wie erwartet herrlich, vor allem wir „Westlerinnen“ können gar nicht genug bekommen und offenbar sind wir alle inzwischen so angepasst an lokale Gewohnheiten, dass uns die vielen Chilis kaum noch stören. Erst nach dem Essen fällt mir ein, dass der ganze Knoblauch im Essen vielleicht bei meinen Mitsängern für Unmut sorgen könnten, denn am Abend steht die Generalprobe an…
Es beschwert sich aber niemand bei mir, Zähneputzen hilft eventuell doch. Also stehe ich mit sämtlichen Mitsängern pünktlich um 19 Uhr zum Einsingen im Probensaal, alle sind gemäß den Regieanweisungen in weiß bzw. hellgrau oder beige gekleidet, ein wenig sehen wir aus wie eine Horde Krankenpfleger. Ganz geübt und selbstverständlich bewegen wir uns im Anschluss durch den Backstage-Bereich, immer auf Abruf bereit, denn wir müssen mehrmals an verschiedenen Stellen der Partitur auftreten. Dazu marschieren wir im Gänsemarsch durch dunkle Gänge unterhalb der Bühne, begrüßen die als Ägypter verkleideten Mitwirkenden von „Aida“, die im Saal neben gleich auftreten werden, stehen den Licht- und Tontechnikern im Weg herum, kurz: der ganz normale Zirkus rund um eine Bühne!
Der Durchlauf klappt einigermaßen gut, inzwischen sitzen die Einsätze der insgesamt drei Chöre („Formal Choir“, „Children’s Choir“, „Street Singers“), die Choreographien für Tanz und Bewegung haben auch die meisten gut verinnerlicht, und so langsam macht die Sache richtig Spaß, denn nun können wir uns auf die Musik konzentrieren. Endlich verstehe ich auch den Inhalt des Stücks, denn wenn man über so viele Wochen nur „punktuell“ die reinen Choreinsätze probt, setzt sich das Gesamtbild natürlich erst ganz am Schluss zusammen, wenn alle Mitwirkenden dabei sind.
Der Funke springt also – zumindest bei den Mitwirkenden – nun endlich über, und nach einem erneuten Probe am Samstag Nachmittag freuen sich alle auf das Konzert. Wir erfahren, dass der Saal ausverkauft ist, die Stimmung kurz vor dem Auftritt ist also schon mal sehr gut, und man wäre nicht in Singapur, wenn nun nicht ein Gruppenfoto und Selfie nach dem anderen gemacht werden müsste. Fast verpassen wir deshalb sogar den Zeitpunkt für unseren Aufmarsch!
Die folgenden knapp zwei Stunden geben wirklich alle auf der Bühne „Vollgas“. Die „Mass“ von Leonard Bernstein ist ein verrücktes Werk. Aufwändig besetzt, mit über 160 Sängern, 100 Musikern im Orchester (darunter allein 10 Schlagzeuger, 4 E-Gitarristen, 1 Kirchenorgel und 2 Klaviere), einem herausragenden Solisten (Kevin Vortmann, „Celebrant“), einem engelsgleichen Knabensolisten (Mikey Robinson), und natürlich einem jungen und ziemlich lustigen Dirigenten, Joshua Tan. Was für ein immenser Aufwand, nur für einen einzigen Auftritt!
Die beiden Programmhefte – einmal ein herkömmliches (hier nachzulesen) und eines für das „junge“ Publikum (hier nachzulesen) sind aufwändig gestaltet und tragen sicherlich maßgeblich zum Verständnis bei, bei Zuhörern und Mitwirkenden.
Und siehe da: der Funke springt tatsächlich bereits in den ersten Minuten des Stücks auch auf das Publikum über, am Ende tobt der Saal und der Schlussapplaus will und will nicht enden.
Dementsprechend euphorisch und aufgekratzt sind alle im Anschluss, nach vier Monaten Vorbereitung und vor allem den fünf vergangenen, sehr intensiven Probentagen soll nicht einfach so Schluss ein. Zum Glück bietet das Esplanade-Veranstaltungszentrum nicht nur diverse Konzertsäle, sondern auch Gastronomiebetriebe en masse. Dank des verlässlichen Klimas hier finden wir uns also allesamt draußen in einer der vielen Bars ein, der Blick über die Marina auf die Hochhäuser des Geschäftsviertels ist atemberaubend, und die Zeit verfliegt bei netten Gesprächen, Abschlussfotos mit Solisten und Dirigenten und vielen Albernheiten wie im Flug – daran ist möglicherweise das eine oder andere Bier schuld, welches hier im 3-Liter-Behälter zum Selberzapfen serviert wird. Mit Schrecken stelle ich irgendwann fest, dass es bereits nach 2 Uhr früh ist, schnappe mir die weinseligen Chorkollegen und treibe ein Taxi auf, um uns alle nach Hause zu bugsieren. Oh weh, das wird eine kurze Nacht nach einer anstrengenden Woche – aber jede Minute davon wert!
Nachlese:
Heute erschien in der Tageszeitung ein Bericht über das Konzert: „Orchestra of the Music Makers’ performance of Leonard Bernstein’s Mass likely to be year’s finest concert“ (The Straits Times, 04.06.2018)