Delikatessen

Delikatessen

Ein wichtiger Meilenstein in unserer Singapurer Integrationsgeschichte ist erreicht: eine Durian-Frucht wurde – zumindest von Teilen der Familie – verkostet!

Da unsere Besucher seit ihrer Ankunft angekündigt hatten, dass sie dieses kulinarische Abenteuer gerne wagen würden, mache ich mich als „Reiseführerin“ heute nachmittag pflichtschuldigst auf nach Chinatown. Im Doppeldecker-Linienbus können wir die vordersten Sitzbänke oben besetzen und haben dadurch das Vergnügen, quasi eine komplette Stadtrundfahrt zu machen, bevor wir vor dem Buddha Tooth Relict Tempel aussteigen.

In derselben Straße befinden sich zig „Apotheken“, die Traditionelle Chinesische Medizin anbieten, und dort findet man in der Auslage dann gerne mal ein paar getrocknete Geckos, Seepferdchen oder Tintenfische. Wir überlegen, ob wir uns dort medzinisch beraten lassen wollen, denn von Bintan haben wir allesamt am ganzen Körper übelst juckende Sandfliegen-Bisse, die uns seit Tagen das Leben schwer machen.

Aber dann entdeckt Titus im Geschäft nebenan eine Eistruhe mit „echt“ chinesischen Eissorten. Zur Einstimmung auf das abends anstehende Geschmackserlebnis dränge ich Bianca ein Durian-Eis auf, Mark verkostet mutig die Geschmacksrichtung „Rote Bohne“, während Titus klassisch Mango wählt.

Derart gestärkt, und da ein bisschen Kultur ja zu so einem Städtetrip dazugehört, besuchen wir den Tempel und bestaunen die Tausenden und Abertausenden kleiner und noch kleinerer Buddhastatuen im vierstöckigen Gebäude. Diese können „gespendet“ werden und stehen dann dekorativ herum, während dem edlen Gönner schier ewiger Segen winkt.

Die Zeremonienhalle mit den drei gewaltigen, vergoldeten Buddhastatuen ist bereits für die nächste Gebetsrunde geschmückt, doch wir verzichten auf stundenlanges Mantren-Singen und fahren in den vierten Stock, um dort die ausgestellte Zahnreliquie in ihrer riesigen, monstranz-ähnlichen Schmuck-Vitrine zu bestaunen. Allein an der Größe des Zahns kann selbst der Laie erkennen, dass es sich wohl kaum um ein menschliches Beißerchen handeln kann, aber das tut der Anbetung natürlich keinen Abbruch.

Wenn man sich danach ins Treppenhaus wagt und mühsam knapp zwei weitere Stockwerke hinaufsteigt, erwartet den Besucher ein echtes Kleinod, nämlich den wunderhübschen Dachgarten. Dieser ruft bei allen Besuchern stets ein „Oh!“ hervor, so auch heute – und besonderen Spaß macht es groß und klein, die meterhohe Gebetsmühle anzuschieben.

Um noch ein bisschen in die zweite große Religionsgemeinschaft der Stadt „hineinzuschnuppern“, biegen wir noch in den Sri Mariammam-Tempel ab, und die farbigen Kuhstatuen sowie die vielarmigen Götter sind wie immer hübsch anzusehen. Titus kennt das alles längst, er jagt derweil lieber Tauben, auch dafür ist so ein Hindutempel geeignet.

Wir bummeln durch die Gassen, bestaunen den Ramsch in den vielen kleinen Geschäften, erstehen ein paar Souvenir, lassen uns von launigen Verkäufern anquatschen und landen schließlich mit großem Appetit in einem der vielen vegetarischen Restaurants, die „mock meat“-Gerichte anbieten. Da in der buddhistischen Lehre Mönchen kein Fleisch essen dürfen, gab es in China immer schon Köche, die sich darauf verstanden, Tofu und andere Zutaten derart zuzubereiten, dass sie in Konsistenz und Geschmack an ihr tierisches Vorbild erinnern.

Inzwischen ist auch Norman aus dem Büro zu uns gestoßen, und zusammen bestellen wir „Hühnchen süß-sauer“, scharfes „Huhn“ mit Gemüse, Dumplings und irgendein frittiertes Gericht, während Titus einen großen Pott Nudelsuppe bekommt. Bereits beim ersten Bissen verfliegt die Skepsis unserer Gäste, denn es schmeckt zum einen fantastisch und zum anderen erschreckend nah am Original. Rätselhaft, wie vor allem die Konsistenz des „Fleischersatz“ so faserig aussehen kann… In Titus‘ Suppe schwimmen „Brät“- und „Leberknödel“, die täuschend echt aussehen und auch fast so schmecken. Wir sind jedenfalls alle hellauf begeistert und verputzen alles restlos, während uns ein stetiger Durian-Geruch vom Nachbarstand umweht.

Zum Glück bleibt noch genug Platz im Magen, um dann zur Tat zu schreiten: mit meinem letzten Bargeld bekommen wir eine Portion Durian ausgehändigt („Discount, for you!“), und an einem „ruhigen“ Plätzchen schiebt sich Norman mutig einen Löffel voll des glibberig aussehenden Fruchtfleisches in den Mund. Sein Gesichtsausdruck ist neutral, der Geschmack sei wohl auch halbwegs ertragbar, nur die puddingartige und gleichzeitig faserige Konsistenz sei doch eher fragwürdig, lautet sein Fazit. Bianca zieht nach, sie findet die Frucht gar nicht so schlecht und holt sich gleich noch einen Löffel voll. Letzten Endes lässt auch Mark sich nicht lumpen und probiert wenigstens einmal.

Titus und ich dagegen winken ab und verzichten dankend, denn ich finde allein den Geruch schon so widerwärtig, verwesungsähnlich, dass an einen Verzehr gar nicht in Frage kommt, ohne dass ich allein beim Gedanken daran einen Würgereflex verspüre.

Obwohl noch dreiviertel der Portion übrig ist, entscheiden die drei Testesser ohne viele Worte, den Rest zu entsorgen – genug ist genug. Erst beim Heimweg stellt sich dann heraus, dass es mit dem Verzehr allein noch nicht vorbei ist, denn der leicht zwiebelig-müffelnde Geschmack der Durian hält sich hartnäckig im Mundraum und kann zuhause nur durch eine Ramazotti-Spülung beseitigt werden.

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