Unterwegs in der Stadt – Verkehr in Singapur
Bevor wir nach Singapur gereist sind, hörten wir furchterregende Geschichten über das Verkehrschaos in dieser Stadt: von endlosen Staus war die Rede, von rücksichtslosen Autofahrern, von Lärm und Gestank. Einige rieten uns, möglichst einen Kindersitz anzuschaffen und diesen jedes Mal mit ins Taxi zu nehmen, sollten wir auf die Idee kommen, uns herumchauffieren zu lassen. Von einem eigenen Auto und gar selbst hinter dem Steuer zu sitzen, wurde dringend abgeraten.
Nach einem halben Jahr hier kann ich bereits ein kleines Fazit ziehen:
Tagsüber ist von einem „Verkehrschaos“ weit und breit nichts zu bemerken. Der Verkehr läuft meist flüssig, Taxis kommen zur vereinbarten Zeit, die Fahrtdauer von A nach B entspricht meist exakt der auf GoogleMaps angegebenen Zeitspanne. Busse fahren im 5- bis 10-Minuten-Takt, und zumindest in unserem Viertel gibt es so viele verschiedene Buslinien in alle Richtungen, dass ich selten irgendwo länger als 3 Minuten warten muss. Für ganz genaue Planung bietet die Stadt diverse Apps an, die u.a. die genaue Wartezeit an den Bushaltestellen anzeigen.
Die „Staus“, in denen ich bislang festgesteckt habe, waren nichts im Vergleich zum morgendlichen Kollaps auf dem Mittleren Ring, z.B. von der Leopoldstraße über die Isar Richtung Bogenhausen. Oder den am Sonntag spätnachmittags aus Süden zurück in die Stadt!
Schön beschreibt die Süddeutsche Zeitung in einem Artikel vom 1.2.2018, wie der Staat Singapur den Autoverkehr per Gesetzesänderung reguliert: „Singapur führt die Auto-Obergrenze ein“ (Süddeutsche Zeitung, 01.02.2018) – in Deutschland undenkbar, oder?
Ampelschaltungen sind in der Tat für das deutsche Gemüt etwas ungewohnt, muss man doch meist gleich mehrere Minuten auf die nächste Grünphase warten, das strapaziert mitunter die Geduld. Vor allem zur RushHour morgens und abends steht man dann durchaus mal ein paar Minuten sinnlos im Bus vor einer Kreuzung. Flüssiges Fahren in der Stadt ist auf den normalen Straßen schwierig, dafür gibt es die Stadtautobahnen. Ein wenig belächle ich gerne die im Zeitungsartikel angesprochenen Sportwagenfahrer, die ein Dasein mit Tempolimits im dichtbebauten Stadtstaat fristen und niemals erfahren werden, wie sich 200 km/h auf einer perfekt ausgebauten Autobahn anfühlen.
Die Taxifahrer, vor denen wir gewarnt wurden, fahren vielleicht etwas zackiger als wir es gewohnt sind, aber das liegt auch daran, dass kreuz und quer durch die Stadt diverse Stadtautobahnen führen, auf denen man dann eben bis zu 80 km/h schnell fahren darf. Bislang sind wir aber allesamt heil an unser jeweiliges Ziel gekommen, ohne dass uns ein Härchen gekrümmt wurde. Und zwar ohne Autositz, denn dieser ist zwar in Privatautos durchaus Pflicht – auch wenn das meinem Empfinden nach nicht ganz so ernst genommen wird – aber für Taxis gelten Sonderregeln, da sie zum öffentlichen Nahverkehr zählen.
Überhaupt: Der öffentliche Nahverkehr ist extrem günstig, die U-Bahnen fahren tagsüber im 2-Minuten-Takt und bringen einen schnell quer durch die Stadt. Zugausfälle oder lange Wartezeiten kenne ich bislang überhaupt nicht. Sollte dennoch eine Verspätung entstehen, buchen die Terminals beim Verlassen des U-Bahnhofs automatisch eine geringere Gebühr beim Durchziehen der Geldkarte an der Schranke ab. Der Fahrpreis ist von der Tageszeit und der Distanz abhängig, der günstigste Tarif liegt bei S$0.77, der teuerste bei S$2.
Um die Menschenmassen vor allem morgens zu entzerren, hat die Land Transport Authority einen neuen Tarif erlassen: vor 7:45 Uhr morgens gibt es einen saftigen Rabatt bei der Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel. Wenn ich da an die ständigen Preiserhöhungen bei Münchens MVV und MVG denke…
Bis 2020 will die Stadt jeden Monat eine neue U-Bahn-Station eröffnen. Überall gibt es riesige Baustellen, an denen Tag und Nacht bei Höllenlärm gearbeitet wird, um die MRT mehr und mehr auszubauen bzw. neue Querverbindungen zu schaffen.
Taxis sind so spottbillig, dass wir dieses bequeme Fortbewegungsmittel ausgiebigst nutzen. Die Fahrt vom etwa 25km entfernten Flughafen nach Hause kostet je nach Tageszeit um die S$20, durch die Stadt selbst kommt man oft mit deutlich weniger als S$10.
Die beste Erfindung ist die Verfügbarkeit von Privattaxis, die dank der Anbieter Uber oder Grab überall über Handyapp bestellbar sind und meist sogar noch ein wenig günstigere Preise als ein reguläres Taxi anbieten. Die minütlich wechselnden Preise resultieren aus Angebot und Nachfrage: zu Stoßzeiten ziehen die Preise an, vormittags ist es spottbillig, sobald ein Regenschauer einsetzt, zahlt man mindestens 50% mehr als bei Sonnenschein. Zwar sind die Uber- und Grab-Autos nicht explizit von der Kindersitzregelung ausgenommen, doch nehmen uns die meisten Fahrer anstandslos auch ohne Kindersitz mit, und Titus darf dann auf dem Schoß Platz nehmen. Klar habe ich da manchmal ein bisschen ein mulmiges Gefühl, doch liegt Singapur tatsächlich im Ländervergleich tatsächlich hinter Deutschland, was den Prozentsatz der tödlich verlaufenden Autounfälle angeht. Und Titus ist völlig klar, dass er beim Besuch in Deutschland wieder im Kindersitz Platz nehmen muss!
Probleme mit der Polizei hatten wir weder in einem Taxi noch in einem Privatauto; als Münchner fällt uns dagegen oft auf, wie wenig Polizisten in Singapur zu sehen sind. Hier läuft sicher vieles über Kameraüberwachung, gefühlt ist die Präsenz von Uniformierten gleich Null. Trotzdem läuft alles tadellos, von Unfällen sehe und höre ich wenig.
Insgesamt habe ich also bislang ein eigenes Auto nur bei den beiden Ikea-Besuchen vermisst, ansonsten komme ich prima auch ohne eigenen fahrbaren Untersatz in der Stadt herum. Ich fahre nach wie vor lieber Bus als MRT, da sieht man wenigstens was. Richtig eilig habe es selten, lieber nutze ich Busfahren als eine Art „Stadtbesichtigung“. Für Kurzstrecken nutze ich das Fahrrad, auch wenn das wirklich manchmal an Kamikaze erinnert. Nach 17 Jahren helmloser Dauerradlerei in München ziehe ich inzwischen ernsthaft die Anschaffung eines Helmes in Erwägung. Als Radler ist man quasi „vogelfrei“ auf den Straßen unterwegs, fährt auf vierspurigen Schnellstraßen neben Doppeldeckerbussen und Autos, die allesamt deutlich schneller als im Münchner Stadtverkehr unterwegs sind, und sollte in punkto Vorfahrt oder Abbiegen mit keinerlei Achtsamkeit der Fahrer rechnen.
An das Linksfahrgebot habe ich mich inzwischen so gut gewöhnt, dass ich kurze Schreckmomente erleide, wenn ich in einer amerikanischen Fernsehserie ein Auto sehe, dass auf der rechten Seite fährt.
Norman spielt mit dem Gedanken, in Singapur den Führerschein zu machen, um notfalls doch mal ein Auto mieten zu können. Wir haben zwar Internationale Führerscheine, diese gelten aber nur im ersten Jahr unseres Aufenthaltes hier, sobald man „dauerhaft“ sesshaft geworden ist. Innerhalb dieses ersten Jahres kann man stattdessen recht problemlos den Singapurer Führerschein erwerben, dazu muss man „nur“ eine Theorieprüfung ablegen und dafür im Vorfeld – per App oder am PC natürlich – knapp 440 Fragen durcharbeiten. 10% kommen davon im finalen Test dran, und neben den „normalen“ Verkehrsregeln gibt es auch so einige „Singapur-spezifische“ Wissensfragen: welche Autobahnen gibt es in der Stadt, was bedeuten die unfassbar vielen Schilder an den Straßenrändern – und dass „Rechts vor Links“ auch hier gilt, obwohl doch Linksfahrgebot herrscht. Mysteriös.
Ob ich mich auch an den Führerscheintest wage, weiß ich noch nicht so recht. Ich bleibe wohl lieber beim Zweirad und teste weiterhin die vielen verschiedenen Fortbewegungsmöglichkeiten, genieße dabei die netten Gespräche mit den Taxlern und die höflichen Mitfahrer in Bus und U-Bahn!