„Grünes“ Singapur
Die letzte Besuchswoche meiner Eltern neigt sich dem Ende entgegen. Seit unserer Rückkehr aus Thailand herrscht in Singapur wieder brütende Hitze, gepaar mit bis zu 90%iger Luftfeuchtigkeit – ein Garant für verschwitzte Gesichter und nasse Klamotten.
Ich stelle zuhause fest, dass in unserem Badezimmerschrank der Schimmel eingezogen ist und ein leichter weißer Flaum meine Cremetuben und Becher besiedelt. Auf dem Gesicht von Titus‘ „Babylein“, einer Stoffpuppe, sind schwarze Stockflecken erkennbar, und Norman klagt über modrig riechende T-Shirts aus den unteren Schrankfächern. Danke, Regenzeit!
Auf jeden Fall ist der Pool nun wieder ein heiß begehrter Ort für uns, ein tägliches Bad ist dringend nötig. Als ich Titus‘ am Mittwoch Nachmittag vom Fußballtraining abhole, begrüßt er mich mit hochrotem Kopf sowie klatschnassen Haaren und Klamotten und verlangt dringend nach einem kühlen Bad. Er, der üblicherweise sehr „kaltwasserscheu“ ist und alle Bademöglichkeiten meidet, wenn die Wassertemperatur unter 30 Grad liegt, hüpft fast sofort ins den nach wie vor recht kühlen Pool im 5. Stock, der mit maximal 26-27 Grad aufwartet.
Ansonsten nutze ich die Tage, um meinen Eltern nach unseren Großstadtabenteuern in der ersten Besuchswoche nun die „grünen“ und „wilden“ Seiten Singapurs zu zeigen.
Am Sonntag fahren wir gesammelt in den Zoo und verbringen wieder einmal den ganzen Tag dort, auch wenn sich das im Vorfeld keiner vorstellen konnte. Gemeinsam genießen wir die Dschungelatmosphäre, und Titus erfreut sich bei gut 37 Grad um die Mittagszeit am großen Wasserspielplatz, von dem er kaum wieder wegzulocken ist, während wir völlig ermattet auf glühend heißen Bänken sitzen und uns nur mit Eiskaffee und dank der Gratis-Trinkwasserspender am Leben erhalten.
Zu Wochenbeginn verfrachte ich meine Reisegruppe per Taxi zum Dempsey Hill; hier schlendern wir ein wenig herum, stöbern in den Antiquitätengeschäften, die in den ehemaligen Militärkasernen untergebracht sind, bestaunen teure Designmöbel und genießen die ruhige Atmosphäre dieses Künstlerviertels. Zum ersten Mal statte ich dem großen Schweizer Feinkostgeschäft „Huber’s Butchery“ einen Besuch ab, und wir staunen Bauklötze: zum einen über das Angebot, das mit jeder Käfer- oder Karstadt-Feinkostboutique mithalten kann, zum anderen über die Preise. Dort kann man für ein wenig Käse, für eine Tafel Schweizer Schokolade, für ein bisschen Gemüse oder eine Packung Paniermehl ein Vermögen ausgeben. Ich begnüge mich damit, eine Bäckertüte voller frischer Laugenstangen zu erstehen, damit mache ich am Nachmittag meinen Sohnemann sehr glücklich! Zum Mittagessen kehren wir bei „Jones the grocer“ ein: in einer Art Markthalle reihen sich auch hier Spezialitäten aus aller Welt in den Regalen aneinander, und in der Mitte serviert und ein beflissener Kellner eine Platte voller italienischer Antipasti und einen großen Linsen-Quinoa-Salat und erbietet sich sogar, noch ein Foto von uns zu schießen.
Derart gut versorgt und ob des fantastischen Mahl wandern wir beschwingt den Dempsey Hill hinunter bis zum Open Farm Cafe, wo wir uns mit einem Eiskaffee und Blick auf den tollen Nutzgarten voller exotischer Obstsorten ein wenig abkühlen, bevor wir das Kind vom Kindergarten abholen.
Dienstags lassen wir uns mit dem Taxi zum Mount Faber fahren; der einheimische Taxifahrer erklärt mir, dass er dort noch nie war und löchert mich anschließend nach weiteren familientauglichen Ausflugstipps – mich, die ich ja noch nicht einmal ein halbes Jahr hier wohne! Wie immer ist es wohl so, dass man als Einheimischer letztendlich weniger in der eigenen Stadt unternimmt als ein Tourist oder Neuankömmling, das kenne ich von München auch: die Museumsbegeisterung lässt nach, stattdessen verbringt man Freizeit lieber mit Freunden und der Familie, anstatt mit Sightseeing.
Von der Gipfelstation aus wandern wir über perfekt ausgeschilderte Wanderwege bis hinunter zur Alexandra Road. Tiere lassen sich zwar nicht blicken, doch sind wir fasziniert von den wild wuchernden Palmen, Bäumen und sonstigen tropischen Gewächsen, die hier in diesem Klima ungehindert unfassbare Ausmaße erreichen und nur durch Heerscharen an städtischen Gärtnern halbwegs gebändigt werden können.
Der Blick über den beeindrucken Libeskind-Bau an der Keppel Bay sowie über die Hochhäuser der Stadt ist beeindruckend, gerade liegt auch ein gigantisches Kreuzfahrtschiff im Hafen, das trotz seiner Größe niedlich klein zwischen all den Wolkenkratzern aussieht.
Trotz Hitze beschließen wir, noch den angrenzenden HortPark zu besuchen; dieser städtische Garten wartet mit unzähligen Themen-Bereichen auf und ist sehr liebevoll gestaltet. Auch dort verbringen wir viel mehr Zeit als erwartet, es gibt aber auch soviel zu entdecken, seien es wunderschöne Hibiskusblüten, blühende Bananenbäume mit ganzen Stauden voller Früchte oder Palmen in allen nur erdenklichen Formen.
Noch abends in der Chorprobe merke ich, wie mich die Wanderung bei den tropischen Temperaturen geschlaucht hat, doch kühle ich bei wie immer eisigen 18 Grad sehr schnell ab. Mitten in der Probe fällt plötzlich der Strom aus, doch der ganze Chor ist bestens gerüstet, und bald leuchten unzählige Handytaschenlampen und wir können weitersingen, bis der Schaden behoben ist.
Die letzte halbe Stunde wird diesmal zu einer Vorstellungsrunde genutzt: alle 80 Sänger müssen nacheinander aufstehen, Namen und Herkunftsland nennen und dazu mitteilen, in welchem Stadtviertel sie wohnen und ob sie eine Mitfahrgelegenheit anbieten können bzw. suchen. Wie praktisch! So finde ich endlich eine neue Sängerin, die ungefähr in meiner Gegend wohnt, und wir teilen uns gleich im Anschluss zusammen ein Taxi, dass uns für je S$9 in nur 20 Minuten nach Hause bringt – kein Vergleich zum Tiefkühl-Bus, der dafür 60 Minuten braucht!
Übrigens stellen alle Anwesenden fest, dass Deutschland im Chor sehr stark vertreten ist, und meine russische Nebensitzerin mutmaßt, dass das wohl an der guten Musikausbildung und an der Chortradition dort liegt. Ob sie wohl recht hat?
Da Titus am Mittwoch morgen tatsächlich recht früh erwacht und auch sehr bereitwillig bereits um 8:30 Uhr in den Kindergarten marschiert, bleibt genug Zeit für einen Ausflug auf die Fischerinsel „Pulau Ubin„. Der überaus gesprächige Taxifahrer bringt uns zum fast 30km entfernten Fährhafen, dort bringen klapprige Fischerboote die Touristen für ein kleines Entgelt auf die Insel. Diese Boote fahren nur los, wenn 12 Fahrgäste an Bord sind, andernfalls heißt es: warten. Wir haben Glück, als wir ankommen, sitzen bereits 9 Wartende dort und es kann mit uns dreien an Bord sofort losgehen. Auf Ubin leihen wir uns ziemlich „morsche“ Fahrräder und können auf menschenleeren Radwegen über Stock und Stein mal eine Fahrradtour der anderen Art, nämlich mitten durch den Urwald, genießen. Wie von mir groß angekündigt, erblicken wir alle tierischen „Sehenswürdigkeiten“: eine Horde Affen schielt begehrlich auf unsere Rucksäcke, ein fast 2 m langer Waran schlängelt sich vor uns durch die Büsche, wilde Hähne rascheln am Wegrand, ein Tukan schreit durchdringend über unseren Köpfen und zu guter Letzt rast auch noch ein Wildschwein wie von der Tarantel gestochen nur wenige Zentimeter von unseren Vorderreifen entfernt über den Weg. Zwischen gigantischen Lianen und undurchdringlichem Dschungel erblicken wir unzählige mannshohe Termitenhügel, und fühlen uns unter dem dichten Blätterdach bei der Hitze wie in einem Dampfbad.
Am Ende der Radltour sind wir pitschnass geschwitzt und gönnen uns noch eine eisgekühlte, frische Kokosnuss, bevor wir mit dem Boot zurück auf’s Festland fahren – mit ebenso wenig Wartezeit wie bei der Hinfahrt.
Abends nutzen Norman und ich den kostenlosen Babysitterservice durch die Großeltern und gehen zum ersten Mal, seit wir hier leben, zusammen aus. Unser Plan, einen Drink in der höchstgelegenen Rooftop-Bar der Stadt, dem 1Altitude auf 260m Höhe zu nehmen, fällt buchstäblich ins Wasser: es schüttet wie aus Kübeln, die Straße steht knöcheltief unter Wasser und die Bar ist geschlossen. Also nehmen wir den Tipp eines Kollegen auf und marschieren zur sagenumwobenen „28HongKongBar„. Diese soll ein echter Geheimtipp und ziemlich versteckt sein. Die Homepage gibt außer der Adresse nichts preis, und bald stehen wir vor der besagten Hausnummer und sehen außer verschlossenen Türen und dunklen Fenstern: nichts. Kein Hinweisschild, kein Lärm, gar nichts. Endlich traut sich Norman, einmal an der mit einem großen Vorhängeschloss versehenen Holztür zu rütteln, und siehe da: alles nur Fassade, die Tür schwingt auf, und schon stehen wir in einer sehr schicken Bar, in der laute Musik läuft und lauter „verrückte“ Cocktails auf der Karte stehen.
Wir testen uns querbeet durch die Getränke, sind aber ganz vernünftig und fahren gegen 23 Uhr nach Hause zurück, wo wir meine Eltern beim Kartenspielen und ein selig schlummerndes Kind im Bett vorfinden.
Zu guter Letzt steht für Donnerstag noch eine Tour durch Singapurs Kolonialviertel auf dem Programm. Wir beginnen am späten Vormittag nach einer rasanten Busfahrt an der Marina Bay, und die Handykamera meines Papas fängt bald an zu glühen, so begeistert schießt er ob der großartigen Aussicht ein Foto nach dem anderen. Leider ist das Wahrzeichen, der Merlion, just diese Woche komplett eingerüstet, doch gibt es bei unserem Spaziergang entlang des Singapore Rivers genug anderes zu entdecken.
Besonders reizvoll sind die Gegensätze zwischen den alten Lagerhäusern direkt am Ufer, die hübsch restauriert sind und heute v.a. Bars und Restaurants beherbergen, und den dahinter aufragenden hochmodernen Glas- und Stahlbauten des Business Districts, deren Architektur sehr abwechslungsreich ist. Vom Clarke Quay marschieren wir schließlich hinauf zum Fort Canning Park; der leichte Anstieg auf den Hügel ist schweißtreibend, und sofort fallen uns – ach was: mich – ganze Mücken-Heerscharen an. Ich beschleunige also meinen Schritt und mir wird noch wärmer, während ich trotzdem versuche, die gigantischen und sicherlich uralten Riesen-Bäume gebührend zu besichtigen.
Als wir endlich die Orchard Road auf Höhe der Dhobi Ghaut-Station erreichen, sind meine Eltern und ich sehr erledigt und müssen uns mit einer tollen vietnamesischen Pho in der Plaza Singapura bei „NamNam“ erst einmal stärken.
Den Nachmittag über hält uns Titus auf Trab, der es sehr genießt, dass drei spielwillige Erwachsene nur für ihn bereit stehen – und er schafft es durchaus, sowohl die Großeltern als auch mich zu beschäftigen!
Mit großer Begeisterung knetet er mit der Oma Rosinen-Hefebrötchen und schmeckt Gemüse ab, den Opa verdonnert er zu großangelegten Mal- und Bastelprojekten und ich darf als Handlanger Getränke und Ausrüstung anreichen.
Für den letzten gemeinsamen Abend hat meine Mama einen großen Berg Dampfnudeln zubereitet, und wir erfreuen uns daran, dass Titus die Familientradition fortsetzt, indem auch er diese zum Leibgericht erklärt und eine Riesenportion verdrückt.