Musikerziehung in Ost und West

Musikerziehung in Ost und West

Am heutigen Samstag ist eine zusätzliche Chorprobe anberaumt, und so mache ich mich nach einem gemütlichen Vormittag per MRT auf den Weg zum INDSEA Campus.
Das Auditorium ist schnell gefunden, bald sind alle 100 Chormitglieder inklusive Dirigent und Pianistin da. Nach den ersten körperlichen Aufwärmübungen sollen auch die Stimmbänder geweckt werden und dazu bringt Dirigent Alan dem Chor einen Kanon bei.  Schon bei den ersten Buchstaben“ C – O – F – F – E – E“ muss zumindest die deutsche Fraktion schmunzeln… Nachdem wir fertig gesungen haben, klären wir den Rest des Chores auf, dass es sich dabei eigentlich um ein deutsches Lied handelt (dessen Anfangsbuchstaben die jeweiligen Töne der Tonleiter benennen – deshalb ist ja eine übersetzte Variante relativ sinnbefreit) und singen dann gemeinschaftlich das Original vor. Die Stimmung ist danach schon mal sehr gut!

Schließlich proben wir mehrere Stunden lang hauptsächlich an einem Medley aus einem Kinder-Weihnachtsfilm. Die Musik darin ist z.T. sehr swing-lastig und manche Teile haben richtige Rock’n’Roll-Elemente. Daran probieren wir ewig herum, wir müssen dazu schnipsen und klatschen und so recht kriegen wir das „groovige“ nicht hin. Zuerst bin ich ein bisschen genervt, und dann fällt mir aber ein, dass zumindest die große asiatische Mehrheit im Chor eben gerade nicht mit amerikanischer oder europäischer Pop-Musik sozialisiert wurde – woher soll dann also bei denjenigen der „beat“ kommen? Der Dirigent versucht es mit ein paar Beispielen, doch die Namen Chuck Berry oder „Grease“ kennt kaum jemand, zumindest die Beatles sind bekannt, aber damit aufgewachsen ist keiner der Einheimischen.
Ganz ähnlich ergeht es mir mit den Stücken von Bach oder Vivaldi. Wo einem halbwegs musikinteressierten Mitteleuropäer meist schon klar ist, in welche tonale oder rhythmische Richtung es innerhalb des Stückes gehen wird, müssen die meisten meiner asiatischen Mitsänger sich Ton für Ton, Intervall für Intervall und Rhythmus für Rhythmus erarbeiten. Denn diese Art von Klangbild wurde nicht in die Wiege gelegt – dafür tut sich unsereins mindestens genau so schwer mit asiatischer Musik, sei es Pop oder Klassik oder Volkslieder…

Ich finde das total spannend und denke die ganze Zeit über solche Arten von „Prägung“ nach, als ich nach der Chorpobe in den Botanischen Garten fahre und einmal quer durch bis zu Freilichtbühne spaziere. Kurz darauf kommen Norman und Titus dazu, und wir lauschen begeistert dem einstündigen Gratiskonzert des Orchester der NUS (National University of Singapore). Die jungen Musiker spielen ganz ausgezeichnet Hits aus der Filmmusik (James Bond, Indiana Jones), aber auch (europäische) Klassik wie Mozart und Offenbach. Die Wiese rund um die Bühne ist voller begeisterter Zuhörer, alle sind mit Picknickdecken und Essen ausgerüstet, auch Norman packt Kistchen vom vegetarischen Take-Away aus. Bis die Sonne untergeht, sitzen wir im Schatten der riesigen Palmen, es hat gut und gerne 30 Grad draußen und wir freuen uns über die Gratis-Fächer, die mit dem Konzertprogramm bedruckt sind.

Das Publikum ist bunt gemischt, viele Familien mit Kindern sind dabei, ebenso viele Jugendliche sitzen in großen Gruppen zusammen, Asisaten und Nicht-Asiaten sind vertreten, und alle sind am Schluss sehr begeistert und verlangen eine Zugabe. Bei Offenbachs „Cancan“ klatschen sämtliche Zuhörer mit, Musik scheint tatsächlich eine Art Weltsprache zu sein und wird von allen verstanden.

Ganz besondern schön finde ich es, dass solche Freiluftkonzerte hier fast jeden Samstag abend von wechselnden Orchestern angeboten werden – selbst das Singapurer Symphony Orchestra (SSO) spielt mehrmals im Jahr Konzerte mit freiem Eintritt in den großen Parks. Und immer sind Kinder ausdrücklich erwünscht.

Durch den nächtlichen Park spazieren wir zurück zur U-Bahn-Station, Titus düst mit dem Laufrad voraus und ist nur enttäuscht, dass gar keine Gitarren zu sehen waren. Dass es die im einem Symphonieorchester leider nicht gibt, will er nicht so recht verstehen.

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