Neue Mobilität und das Hot-Pot-Erlebnis

Neue Mobilität und das Hot-Pot-Erlebnis

Wenn wir auch unter der Woche (also, mit „wir“ meine ich Titus und mich) immer noch herrlich planlos sind, schleicht sich zumindest an den Wochenenden eine gewisse Routine ein:
Zunächst wird aussgeschlafen, dann frühstücken meine Männer und haben dabei genug Zeit, noch im Schlafanzug Bücher zu lesen und einen Kaffee für mich zuzubereiten.
 Dann wird Sport gemacht (=ich) und danach zusammen im Pool geschwommen und geplanscht. Ehe man sich dann versieht, ist es schon Zeit für’s Mittagessen. Da Norman sich ab sofort „leichtere“ Küche gewünscht hat, gibt es also einen sehr leckeren Salat mit Avocado und Mango, während das Kind wieder einmal eine Nudelsuppe bekommt. Nahrhaft und gesund und nur ein bisschen aus der Tüte…
Irgendwann drängle ich zum Aufbruch, auch wenn die Herren noch stundenlang zusammen Papierflieger falten möchten, aber da heute das Wetter mitspielt und die Sonne brennt, müssen wir endlich mal raus aus der Bude.
Wir fahren zusammen mit dem Bus irgendwo in ein Wohngebiet, in dem sich mitten drin der wohl führende Anbieter für sämtliche Elektro-Fortbewegungsmittel befindet, wie Norman vorbildlich recherchiert hat. Er möchte unbedingt ein Fortbewegungsmittel für die langen Wege zur/von der U-Bahn-Station bis ins Büro, das er mit in die Bahn nehmen kann.
Nach einer Weile planlosem Herumirren finden wir das Geschäft, und Norman darf endlich (!) einmal ein elektrisches Einrad ausprobieren. Schon in München hat er immer sehnsüchtig den Kids aus dem Nachbarhaus beim Herumdüsen zugeschaut, und hier in Singapur ist tatsächlich (im Gegensatz zu Deutschland) das Fahren mit diesen Geschossen auf Fahrradwegen und Fußwegen erlaubt.
Nach ein paar wackeligen Versuchen hat er den Dreh nach kürzester Zeit heraus, Titus schaut fassungslos zu, doch von einem Kauf rate ich dann doch vehement ab, da das Ding zum einen sauschwer ist und ich zum zweiten da schon diverse Verletzungen kommen sehe. Zwar sind wir seit letzter Woche dann doch ziemlich gut krankenversichert hier, aber man muss das Glück ja nicht herausfordern.

Viel mehr Spaß macht da dann doch gleich das Ausprobieren der vielen verschiedenen Elektro-Tretroller. Mit diesen Dingern fährt hier praktisch fast jeder herum; ganz im Gegensatz zu Fahrrädern, mit denen nur seltsame Europäer fahren, greift der eher lauffaule Singapurer doch lieber gleich zu diesem geräuscharmen und selbstfahrenden Fortbewegungsmittel, für das man noch nicht einmal selber treten muss und das dennoch bis zu 25 km/h schnell fährt.
Jedenfalls ist es auch bei Norman Liebe auf den ersten Blick; zwar will er eigentlich noch eine Nacht drüber schlafen, dreht aber bereits auf dem Weg zur Bushaltestelle wieder um und kommt kurz darauf mit einem Roller hinter uns hergedüst. Titus ist hingerissen, denn da kann man problemlos auch zu zweit drauf, und der nette Mechaniker hat versprochen, nächste Woche noch einen Kindergriff am Lenkrad zu installieren.

Zur Belohnung geht es ein paar Ecken weiter ins das Stadtviertel Tiong Bahru, in dessen Straßen sich nette Cafés, Yogalofts, Buchläden und schicke Klamottenläden aneinanderreihen. Hier sind tatsächlich großteils Nicht-Asiaten unterwegs, fast südländisch mutet das Flair mit den kleinen Häuschen und Geschäften an. Wir kehren in die entzückende „Plain Vanilla Bakery“ ein, die in Sachen Preis und Design jederzeit mit einem beliebigen skandinavischen Café mithalten kann. Jedenfalls ist es sehr gemütlich dort, es gibt Milchkaffee und hinreißende Törtchen und – was natürlich am wichtigsten ist – eine Kinderspielecke mit Bauklötzen, Holz-Eisenbahn und Schaukelpferd. Und gratis WLAN. Noch wichtiger.

Titus spielt, Norman und ich telefonieren und könnten hier den ganzen Tag verbringen. Doch die Zeit drängt, und dank des Elektro-Rollers geht es flugs (zumindest für zwei der drei Familienmitglieder) weiter zur Bushaltestelle. Dort befindet sich direkt ein großer UNIQLO-Store, und Norman fällt ein, dass er dringend neue kurze Hosen braucht, und kurz darauf verlassen wir mit einer großen Tüten Klamotten das Geschäft. Hoppla. Zumindest diese Marke gibts hier deutlich günstiger als in Deutschland, hier kosten z.B. Hosen um die 16 Euro. Für welche grimmigen Winter es dort allerdings auch Daunenjacken gibt, bleibt schleierhaft.

Nach diesem kleinen, unvorhergesehenen Abstecher warten wir mit hunderten Shoppingwütigen auf den Bus, stehen dabei in der sengenden Hitze und lauschen gequält den Versuchen des chinesischen Geigers, Titus mit seiner eigenwilligen Interpretation von „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ und „Frère Jacques“ zu begeistern. Nur 10 Wiederholungen später kommt der Bus, der zum Glück auch noch schön klimatisiert ist, und wir fahren bis zum Clarke Quay.

Hier steppt heute, am Samstag, der Bär, die Feierwilligen strömen durch die Gassen, vorbei an Bars, Restaurants, Clubs, Eisdielen, Cafés, soweit das Auge reicht. Diesmal darf ich den Roller nehmen, und mit Titus vornedrauf, der lauthals „hupt“, kommen wir gut voran, wenn auch vielleicht nicht immer ganz so elegant. Wir finden schnell das anvisierte Ziel, nämlich das Restaurant „Hai Di Lao„, und ziehen eine Wartenummer. Ich hatte ja schon erwähnt, wie wild die Singapurer aufs Anstehen sind, und wir wurden auch schon vorgewarnt, dass dieses Restaurant sehr begehrt sei und keine Reservierungen annehme, sondern eben nur Wartennummern vergebe.
Wir sind guter Dinge, schließlich ist es erst 18:15 Uhr, quasi noch Nachmittag, da wird schon noch nicht soviel los sein. Die Dame am Empfang lächelt nur milde, drückt uns einen Zettel in die Hand und schickt uns mit den Worten: „Only one-and-a half hours, not long“ wieder weg. Nun gut, die Zeit will genutzt sein, also springten wir in die nächste Bar, denn hier gibt es bis 19 Uhr 2 Bier zum Preis für 1, und so kann man die Wartezeit doch bestens verkürzen.

Um 20 Uhr wird der Hunger dann doch merklich groß, wir stürzen auf die Empfangsdame von „Hai Di Lao“ zu, die uns sehr zuvorkommend in den 2. Stock schickt, wo ein Wartebereich von der Größe einer mittleren Bahnhofshalle fast bis auf den letzten Platz besetzt ist. Wir quetschen uns auf ein paar übrige freie Hockerchen dazwischen, die wie immer in Asien etwa Kinderstuhl-Höhe haben, und sind äußerst entzückt, als uns unaufgefordert ein großer Teller mit Snacks und Eistee in rauen Mengen kredenzt wird, mit denen wir die weitere Wartezeit überbrücken sollen. Titus entdeckt sofort die Eistheke, an der es gratis Eis gibt, und verputzt quasi als Vorspeise einen Becher Erdbeereis. 

Ich hingegen entdecke den Maniküre-Salon, der hier ganz selbstverständlich ein Teil des Restaurantbetriebs ist und in dem man eine Gratis-Maniküre bekommt. Also ziehe ich brav auch hier eine Nummer („Nur 26 Frauen warten vor Ihnen“) und freue mich schon auf dieses Rundum-Paket – voller Bauch plus schön lackierte Nägel, eine echte Lücke in der deutschen Gastronomie!

Die Minuten vergehen, es geht bereits auf 21 Uhr zu, doch noch immer wird der Wartebereich nicht leerer, ganz im Gegenteil. Titus war bereits zigmal im Kinderspielbereich und bei der Live-Band, und die Stimmung (also, zumindest meine, denn ich habe Hunger!) kippt so langsam. Endlich kommt eine Angestellte auf uns zu, aber sie drückt uns nur ein Tablet in die Hand mit der Bitte, schon mal unsere Bestellung abzugeben. Zum Glück haben wir schon ein wenig „Hot-Pot-Erfahrung“ und bestellen nach unserem Größenwahn in Peking vor zwei Jahren diesmal deutlich zurückhaltender.
Endlich, nach mehrmaligem Nachfragen (da macht sich so ein hungrig dreinguckendes Kind auf dem Arm übrigens sehr gut) werden wir gegen halb zehn, nach nur gut drei Stunden Wartezeit, zu unserem Tisch geführt – und nun fängt der Spaß erst so richtig an.
Zunächst einmal werden uns Rucksäcke und Tüten abgenommen, alles auf einem Extra-Stuhl platziert und dieser wird dann mit einem Tuch verdeckt. Das ist in Singapur so üblich, in jedem Restaurant stehen an den Tischen zugedeckte Stühle, aber den Grund dafür habe ich noch nicht herausgefunden.
Zunächst einmal werden wir von diversen Bedienungen ausgestattet mit einen Haargummi für mich (damit die Haare beim Essen nicht stören), mit zwei durchsichtigen Tütchen (damit die allgegenwärtigen Handys nicht schmutzig werden), mit Putztüchern für die Handy-Displays, mit Schürzen für jeden von uns, mit Getränken (natürlich nur Tee und Wasser, für Alkohol ist da keine Zeit), mit einem kleines Plastikauto als Spielzeug für Titus, mit zig Schüsselchen mit Kräutern, mit den von uns bestellten Zutaten und zu guter Letzt mit zwei großen Schüsseln mit Brühe, in denen wir dann selber die chinesische Fondue-Variante zubereiten können.
Daneben gibt es ein unfassbar großes Saucen-, Kräuter- und Gewürz-Büffet, an dem wir uns selbst bedienen können, und endlich geht es los.

Nein, falsch, die bestellten Nudeln sind noch nicht da, und wir sprechen eine Bedienung an. Kurz darauf kommt ein junger Mann mit einem Teigball in der Hand zu uns an den Tisch, wirft den Ghettoblaster (oder eher den Handylautsprecher) an und legt los: in schwindelerregender Weise schwingt er den Teig so lange, bis er daraus Nudeln reißen kann, die er dann unter Beifall in die Brühe wirft, sich verbeugt und zum nächsten Tisch weitergeht. Wenn wir nich alle so hungrig wären, fänden wir es wahrscheinlich noch beeindruckender, aber so geht das leibliche Wohl erst einmal vor.

Wie immer in chinesischen Restaurants (das übrigens so groß ist, dass es locker über 500 Sitzplätze verfügt) ist es unfassbar laut, denn nicht nur dröhnt ohrenbetäubender chinesischer Pop aus den Lautsprechern, sondern diverse Großbildfernseher laufen und die chinesische Großfamilie ist halt auch nicht gerade dezent in ihrer Kommunikation. Kinder rennen umher, Kellner tragen Platte um Platte aus der Küche, dazwischen tanzt ein chinesischer Löwe (auch das stört hier keinen) und alle paar Minuten wird an irgendeinem Tisch ein Geburtstagskind besungen (Von den Kellnern. Mit Mikrophon. Mit Torte und Kerzen. Und Wunderkerzen). Am Nebentisch schlummert trotzdem ein Baby im bereitgestellten Gitterbettchen, auch das ein Service des Hauses.
Ganz nebenbei entdecken wir unter dem Tisch noch die für jeden Sitzplatz mit allen erdenklichen Adaptern ausgestattete Handy-Ladestation. Bitte, noch sowas, das doch in jedem Lokal zur Verfügung stehen sollte, oder?!
Der ganze Trubel lenkt aber dennoch nicht davon ab, dass das Essen wirklich sensationell ist und wir hinterher feststellen, dass wir tatsächlich eher zu wenig bestellt haben. Insgesamt zahlen wir 67$, das sind umgerechnet gerade mal gut 40 Euro, und für das ganze Entertainment ist das ein mehr als fairer Preis. Nur meine Gratis-Maniküre entfällt, da sich um 22:30 Uhr immer noch 16 Kundinnen vor mir in der Warteschlange befinden, und so verzichte ich für dieses Mal darauf. Titus hat einen vollen Nudel- und Tofu-Bauch, darf sich natürlich noch ein Eis holen, und lässt sich bestens gelaunt mit dem Roller zur Bushaltestelle kutschieren. Im Bus diskutieren wir ausführlich, zu welcher Uhrzeit wir uns denn beim nächsten Besuch dort eine Wartemarke holen, denn als wir das Lokal verlassen, ist der Wartebereich immer noch gesteckt voll. Recherchen ergeben, dass man dort bis 6 Uhr morgens essen kann, vielleicht wird es ab 4 Uhr etwas leerer? Oder gleich ab 11 Uhr morgens? Da werden also noch einige aufreibende Probe-Essen folgen!

3 Replies to “Neue Mobilität und das Hot-Pot-Erlebnis”

  1. Das klingt ja ganz großartig! Der Nudel-Akrobat, Gratis-Eis und Maniküre – echt spitze! Da will ich unbedingt mit Euch hingehen. Und für die Wartezeit nehmen wir uns einfach ne selbstgeschmierte Käsestulle mit 🙂

    1. Das machen wir! Ich ziehe schon mal eine Wartenummer!
      Und das nächste Mal müssen wir dort einfach im Warteraum viel mehr von den Snacks essen, das würde schon reichen.

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